Wir schreiben das Jahr 2022 und gehen gedanklich zurück auf die K Messe nach Düsseldorf. Was die Messebesucher in Halle 12 am Stand von Wittmann erleben, kommt einer Revolution gleich. Die Spritzgießproduktionszelle, auf der Elektronikkomponenten aus flammgeschütztem Polyamid produziert werden, ist mit Solarpanelen versehen. Spritzgießmaschine und Roboter werden über einen Gleichspan-nungszwischenkreis direkt mit Solarenergie betrieben. Eine Konzeptstudie, die Wittmann in Zusammenarbeit mit einem Kunden vorstellte. Die beiden Entwicklungspartner meldeten die Lösung gemeinsam zum Patent an.
Nur ein Jahr später auf der Fakuma 2023 präsentierte Wittmann erneut eine über Solarenergie direkt mit Gleichstrom betriebene Produktionszelle - nicht mehr als Konzeptstudie, sondern als serienreife Lösung inklusive Solarstromspeicher. Für die Industrialisierung und Vermarktung der DC-Spritzgießtechnologie hat sich Wittmann inzwischen mit einem Partner zusammengetan. Das Unternehmen, das seit Herbst 2024 unter dem Namen inesco firmiert, befasst sich seit mehr als zehn Jahren mit der Frage, wie sich regenerative Energien im großen Maßstab sinnvoll nutzen und effizient speichern lassen.
Die Präsentation auf der Fakuma 2023 brachte den Stein ins Rollen. Das Interesse der Spritzgießindustrie an der direkten Nutzung von Solarstrom über DC-Netze ist groß. Wittmann und inesco evaluieren und bearbeiten derzeit eine Reihe konkreter Projektanfragen. Die ersten DC-fähigen Spritzgießmaschinen sind verkauft.
In der Spritzgießindustrie ist Wittmann der Pionier auf dem Gebiet der DC-Technologie. Als erster Ausrüster spritzgießverarbeitender Unternehmen bietet Wittmann Maschinen und Produktionszellen an, die Solarenergie aus einem Gleichstromnetz direkt nutzen können.
Versorgungssicherheit im Fokus
Solarenergie ist ebenso wie andere regenerative Energien, die zum Beispiel in Windkraftoder Biogasanlagen erzeugt werden, Gleichstrom (DC). Die allgemeine Stromversorgung aber erfolgt über Wechselstrom (AC). Um die alternativen Energien nutzen zu können, kommen Stromwandler zum Einsatz. DC wird zum Transport und Verteilen in AC umgewandelt - und am Energieverbraucher zum Teil wieder zurück in DC gewandelt, denn viele Verbraucher arbeiten mit DC. Allen voran sind dies Frequenzumrichter zur stufenlosen Drehzahlsteuerung für elektromotorische Systeme, denn Elektromotoren haben im industriellen Umfeld einen Stromverbrauchsanteil von 70 Prozent. Weitere Beispiele für DC-Verbraucher sind Computer, Fernseher, LED-Lampen und Elektrofahrzeuge. Sowohl in der industriellen Produktion als auch im täglichen Leben haben wir also ein ständiges Umwandeln von DC in AC und umgekehrt, und bei jeder Umwandlung geht ein Teil der Energie verloren. Pro Wandlungsstufe beträgt der Verlust 2 bis 4 Prozent. Die Energieeffizienz der Anwendungen sinkt. Genau diese Überlegung gab den Anstoß, Gleichstrom über dezentrale DC-Netzwerke, so genannte DC-Microgrids, ohne Umwandlung in Wechselstrom direkt nutzbar zu machen.
Neben dem Einsparen von Energie und der damit verbundenen Verringerung des CO2-Fußabdrucks gibt es weitere Motivationsfaktoren, sich mit den Möglichkeiten der DC-Technologie auseinanderzusetzen.
Es geht in erster Linie um die Versorgungssicherheit. Der steigende Stromverbrauch durch unter anderem Elektroautos und Wärmepumpen sowie die voranschreitende Elektrifizierung der Industrieproduktion belasten zunehmend das vorhandene Stromnetz und der Ausbau hinkt oft hinterer. Zumal die rasant steigende Einspeisung von Solarstrom die Netze zusätzlich belastet und instabiler macht. Selbst in Ländern mit einer sehr guten Stromversorgung, wie Deutschland oder Österreich, könnte es zukünftig vermehrt zu Netzausfällen oder Verbrauchsbegren-zungen kommen, fürchten Experten. Gleichstromnetze könnten hier zu einem wichtigen Baustein der Versorgungssicherheit und Klimaneutralität werden. Hierzu trägt bei, dass sich Gleichstrom gut in Batterien speichern lässt und sich teure Stromspitzen damit effizient abdecken lassen.
Ein weiteres Argument ist die größere Ressourceneffizienz beim Ausbau der Stromnetze. Drei-Leiter-Gleichstromnetze erfordern mit den heute verfügbaren Technologien deutlich weniger Kupfer als Leitermaterial als Fünf-Leiter-AC-Netze und zudem weniger elektronische Bauteile. Gleichrichter in den Geräten zum Beispiel entfallen komplett.
Solarspeicherbatterie hält Leistung konstant
Wie kann die direkte Nutzung von Solarenergie im Spritzgießbetrieb nun konkret aussehen? - Die Lösung von Wittmann basiert auf drei Komponenten: Einer für die DC-Technologie modifizierten Wittmann Spritzgießmaschine oder Produktionszelle, dem "DConnect" Gleichstromnetz von inesco und einer sodistore max Speicherbatterie auf Basis von Natriumsalz. Sodistore max wurde gezielt für den nachhaltigen Einsatz in Industrieunternehmen entwickelt.
DConnect bildet quasi das Rückgrat der Gleichstromversorgung im Betrieb. Es han-delt sich um ein selbstregelndes DC-Microgrid, in das sich DC-Produzenten und DC-Verbraucher einfach einbinden und miteinander verbinden lassen. DConnect kommt ohne externen Controller aus und benötigt keinen Internetanschluss. Damit ist das System vor Cyberkriminalität sicher geschützt.
Aufgabe der DC-gekoppelten Speicherbatterie solistore max ist es, für eine konstante Spannung zu sorgen, auch wenn unterschiedliche Verbraucher mit Energie versorgt werden und die zur Verfügung gestellte Stromleistung Schwankungen unterliegt. Inesco bietet die mit Natriumsalz arbeitenden Solarspeicherbatterien in unterschiedlichen Größen mit Speicherkapazitäten bis 500 kWh an. Die Natrium-Ionen-Batterien erreichen die gleiche Energiedichte und das gleiche Volumen wie herkömmliche Lithium Batterien (LFP), können aber mit viel höheren Leistungen geladen und entladen werden. Die Natrium-Ionen-Batterie ist deutlich umweltfreundlicher und auch sicherer als herkömmliche Lithium-Batterien. Sie kommt ohne bedenkliche Materialien aus und lässt sich am Ende ihrer Nutzungsdauer vollständig recyceln. Sie benötigt zudem keine Klimatisierung und kann sowohl innen bei höheren Temperaturen bis 55 °C als auch außen bei sehr niedrigen Temperaturen bis -20 °C betrieben werden.