Kunststoffe, die duften - was wie eine Zukunftsvision klingt, wird derzeit bei dem Unternehmen Grafe, mit Firmenhauptsitz in Blankenhain, in einem Entwicklungsprojekt in die Tat umgesetzt. Erstes Ergebnis ist ein Masterbatch für PP, das mittels eines Duftöls eines externen Lieferanten zum Wohlgeruch gebracht wird. "Das Prinzip beruht auf der Migration des Duftstoffes an die Oberfläche, wobei je nach Kunststoff der Prozess gebremst wird, was den Effekt verlängert", erläutert Lars Schulze, Teamleiter Material Science. So zeigte der Duft in Polyolefinen wie PP, PE und weiteren weichen Polymeren, wie TPU eine gute Wirkung.
In dem von Grafe verwendeten schonenden Fertigungsverfahren ist das Masterbatch mit einem Öl außergewöhnlich hoch konzentriert. Trotzdem bleibt das Masterbatch förderbar und lässt sich bei einer Dosierung zwischen einem und drei Prozent ganz normal verarbeiten. Je nach Trägerpolymer bleibt die Transparenz erhalten. "Die Länge der Duftzeiten hängt von Art der Anwendung, der Kunststofftype, der Umgebungstemperatur und der Frischluftzufuhr ab", so der Experte. Er verweist auf vier Monate alte Proben in PP, die immer noch angenehm duften würden. Erste Versuche hätten gezeigt, dass auch das Einfärben die Duftwirkung nicht signifikant beeinflusse, berichtet er.
Laut Schulze gibt es derzeit kaum vergleichbare Anwendungen auf dem Markt. Die direkte Integration des Duftes in Funktionsbauteile wie Schalter, Taster oder Verkleidungsbauteile sei eine Neuerung, denn bisher seien Duftstoffe in Verbindung mit Kunststoffen eher aus dem Bereich Packaging und Marketing bekannt. Im aktuellen Projekt, das seit Anfang 2021 läuft, wurde ein Duftbatch kreiert, das wie hygienisch reines, frisch geputztes Bad riecht und deshalb den Namen "Fresh Air" trägt. Doch die Bandbreite möglicher Anwendungen ist riesig, der Lieferant biete ein breites Spektrum an Duftölen an. "Ob klassische Badhygiene, Autobahn-WC, Urinale, Taster für Spülungen oder Duschen. Allein im Sanitär-Sektor sind die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt", zählt der Teamleiter für Material Science einige Beispiele auf.
Doch damit nicht genug: Auch Applikationen in Richtung Holz und Leder seien denkbar. "Beide Rohstoffe werden aus Umweltschutzgründen, wegen des Tierwohls oder aufgrund veganer Ernährung, zunehmend substituiert. Deshalb sind WPC-Compounds (wood plastic compounds), die einen angenehmen Holzgeruch verkörpern, oder Lederimitate, die realistisch duften, spannende Ideen", so Schulze. Auch künstliche Weihnachtsbäume, die nach Tanne duften, seien ein interessantes Einsatzgebiet. In der Automobilindustrie ließen sich Lenkräder oder Armaturenbretter, aus denen wohlriechende Düfte migrieren, umsetzen. Zudem seien Applikationen in der Möbelindustrie möglich. "Schlafzimmermöbel, die beruhigend nach Lavendel riechen, oder Küchenmöbel, die Zitronenduft versprühen - die Vielfalt ist quasi grenzenlos."
Mit den Duftbatches stünde den Anwenderindustrien neben Optik und Haptik eine dritte Möglichkeit zur Verfügung, die Sinne anzusprechen, nämlich die Olfaktorik, beschreibt der Experte die Marktchancen der Entwicklung. Darüber hinaus ließe sich das Thema Geruch hervorragend mit Grafes Kernkompetenz - den Trendfarben - kombinieren. "Ein Gelb, das nach frischer Zitrone riecht, oder ein Grün, das den Duft von Minze verströmt, lasse sich hervorragend vermarkten", meint Schulze und verweist auf einen weiteren Vorteil: "Mit unseren Duftbatches werden schlechte Gerüche aufgefangen und überlagert."
Seit rund zwei Jahren beschäftigt sich Grafe mit dem Thema riechender Farben und führt dazu entsprechende Versuche durch. Die aktuelle Entwicklung soll die Initialzündung sein, um weitere Projektpartner zu gewinnen. Denn noch seien einige Hürden zu überwinden, erklärt Schulze. "Die Temperaturstabilität ist ebenso eine Herausforderung, wie Flammschutz und mechanische Stabilität, so der Experte." Zudem sorgten in den Bereichen Medizintechnik, Verpackungs- und Lebensmittelindustrie strenge Hygiene-Vorgaben für eine schwierige Umsetzung.